NAMASTE
Namaste bedeutet so viel wie: „Ich verneige mich vor dir, ich erweise dir meinen Respekt.“ Dies ist eine perfekte Begrüßung und Verabschiedung zwischen Menschen. Diese Geste eignet sich für uns als Menschen auch gegenüber Lebewesen in nichtmenschlichen Körpern. In jedem belebten Organismus vom Einzeller bis zum Elefanten und darüber hinaus befindet sich ein unzerstörbarer und untrennbarer Lebensfunke, der von der Quelle allen Lebens ausgeht.
Als solchem gebührt jedem Lebewesen voller Respekt. Alle Lebewesen haben wie du und ich letztlich dieselben Sehnsüchte nach Erfüllung, ganz gleich, in welchem Körper und in welcher Lebenssituation sie sich gerade befinden.
Dem Gruß „Namaste“ liegt das Verständnis zugrunde, dass wir als Lebewesen alle von der ursprünglichen Quelle allen Lebens ausgehen und somit auf tiefste Weise miteinander verwandt sind.
Wenn ich „Namaste“ sage, dann bringe ich damit meine Wertschätzung für das spirituelle Lebewesen in dem jeweiligen Körper zum Ausdruck. Natürlich reicht es nicht aus, nur als Floskel „Namaste“ zu sagen und sich anschließend respektlos zu verhalten. Das wäre ein Widerspruch, inkonsequent und eigentlich unaufrichtig. Und doch ist diese Begrüßungsformel „Namaste“ ein guter Einstieg, um sich bewusst zu machen, dass allen Lebewesen Respekt gebührt, und sie ist eine gute Anregung, um diesen Respekt für andere bei sich selbst zu kultivieren und zunehmend mit Leben zu füllen.
Der Sitz der spirituellen Seele ist im Herzen. Zusammen mit der individuellen Seele (dem Atma) befindet sich im Herzen auch ein besonderer Aspekt beziehungsweise eine Erweiterung der Höchsten Seele, die der Ursprung aller Lebewesen ist. Diese Erweiterung der Höchsten Seele wird als „Paramatma“ bezeichnet – auf Deutsch „Überseele“. Ich selbst als Atma kann mich nur in einem einzigen Körper aufhalten (ein vollkommener mystischer Yogi bestenfalls in maximal zehn Körpern gleichzeitig, auch wenn das für uns schwer vorstellbar ist), doch Gott, die Höchste Seele, befindet sich weit weg in der spirituellen Dimension und zugleich als Paramatma überall in der materiellen Sphäre und somit auch im Herzen jedes einzelnen Lebewesens.
Du bist die spirituelle Seele, und in deinem Körper wohnt auch die Überseele, Gott. In diesem Sinne ist der Körper des Lebewesens der Tempel der Seele. Im Allgemeinen verhalten wir uns in einem Gotteshaus sehr respektvoll, aber uns ist oft nicht bewusst, dass jeder von einer spirituellen Seele bewohnte Körper im Grunde ein beweglicher Tempel ist. Wir sollten unsere Intelligenz gebrauchen und diese Gegenwart Gottes in allem Lebendigen wertschätzen und respektieren lernen.
Gott, der Ursprung von allem, ist durch Seine materiellen und spirituellen Energien omnipräsent, also überall zugegen. Es wird beschrieben, dass die Überseele selbst im Atom gegenwärtig ist. Die Höchste Seele weilt somit auch höchstpersönlich direkt im Herzen neben der individuellen Seele, was für die meisten Lebewesen in der materiellen Welt nicht direkt wahrnehmbar ist. Wenn wir beten, dann beten wir zu diesem Paramatma bzw. dieser Überseele direkt in unserem Herzen. Der Paramatma kann gleichzeitig die Gebete und Gefühle der Abermilliarden von Lebewesen hören und wahrnehmen und darauf reagieren, ohne in organisatorische Schwierigkeiten zu geraten. Für dich und mich wäre es eine totale Kakophonie oder ein undifferenziertes Rauschen, wenn wir gleichzeitig wahrnehmen könnten, was sich im Innern aller Lebewesen abspielt. Wir können uns im Prinzip immer nur jeweils auf eine Sache konzentrieren. Doch die Höchste Seele kann gleichzeitig mein und dein Gebet hören und auch die Gebete unzähliger Menschen und individuell darauf reagieren. Dies ist ein wichtiger und zentraler Unterschied zwischen der individuellen Seele, dem Atma, und der Überseele, dem Paramatma.
Wenn wir also „Namaste“ sagen, dann sprechen wir damit auch direkt diesen Paramatma im Herzen des Lebewesens an und verneigen uns vor Ihm. Die Gegenwart des Paramatma zu respektieren, ist der vorrangige Grund, warum wir jedes Lebewesen respektieren sollten (abgesehen davon, dass jede spirituelle Seele einzigartig und absolut wertvoll ist).
Um zu verstehen und zu sehen, dass wir alle (also alle Lebewesen) im tiefsten Sinne miteinander innig verwandt sind, müssen wir die Sicht haben, dass wir alle einen gemeinsamen Ursprung haben und zunehmend eine echte Wertschätzung für diesen gemeinsamen Ursprung entwickeln.
Es geht also nicht um eine oberflächliche, esoterische Floskel, sondern um eine tiefe Sicht, die heute mehr denn je dringend nötig ist. Wenn diese tiefe und im Grunde doch einfache Sicht, die mit gesundem Menschenverstand leicht nachzuvollziehen ist, weiter verbreitet wäre, sähe es heute weltweit individuell, gesellschaftlich, ökonomisch und umweltbezogen ganz anders beziehungsweise wesentlich erfreulicher aus.
Dies sagt leider Einiges über den fatalen Zustand des heute verbreiteten gesunden Menschenverstands aus, der leider selbst bei sich als religiös bezeichnenden Menschen oft alles andere als gesund ist, was sich am mangelnden Respekt für andere Menschen und Lebewesen zeigt.
Wahre Religion ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation oder Gruppe, sondern beginnt mit dem Verständnis, dass wir alle nicht-materielle Wesen sind, die untrennbar zu Gott gehören. Ein wahrhaft religiöser Mensch bin ich, wenn ich mein tägliches Leben ganz praktisch auf der Grundlage dieser Sicht lebe und mich gegenüber all den Lebewesen, mit denen ich zu tun habe, mit dem angemessenen Respekt verhalte, da ich sie ausnahmslos als Kinder der Höchsten Seele sehe. Solange ich andere Lebewesen missachte, verachte oder gar misshandle, kann ich spirituell nicht sehr fortgeschritten sein. Doch je mehr ich die Höchste Seele, die uns alle miteinander verbindet, achte, kenne, verstehe und liebe, desto mehr werde ich auch meine Mitwesen achten, verstehen und lieben. Dies gehört untrennbar zusammen.
Die einfachste Methode, diese Achtung und Zuneigung für die Höchste Seele und alle Lebewesen zunehmend wieder selbst zu entwickeln, besteht im regelmäßigen Hören und Wiederholen der transzendentalen Namen der Höchsten Seele, die nicht von dieser Welt sind und unsere gegenwärtige materielle Sicht zunehmend in eine reine Sicht verwandeln, da sie unseren Geist und unser Herz zunehmend von allen Fehlvorstellungen läutern.
Es reicht also nicht aus, nur „Namaste“ zu sagen, dann aber nicht Namaste zu tun. Aber so oder so ist Namaste ein wunderschöner Gruß und ein guter Einstieg, und wenn wir aufrichtig sind, können wir den Punkt erreichen, an dem wir andere als das sehen und behandeln, was sie eigentlich sind. Dann ist „Namaste“ mehr als eine Floskel oder Begrüßungsformel, sondern ein Ausdruck für unseren zutiefst empfundenen Respekt allem Lebendigen gegenüber.
In den Mantras 6 und 7 der Weisheitsschrift Schri Ischopanischad heißt es:
„Jemand, der alles in Beziehung zur Höchsten Seele sieht, der alle Wesen als die untrennbaren Teile der Höchsten Seele sieht und die Höchste Seele in allem sieht, verabscheut nichts noch hasst er irgendein Wesen.“
Und:
„Jemand, der alle Lebewesen stets als spirituelle Funken sieht, der Eigenschaft nach eins mit der Höchsten Seele, wird ein wahrer Kenner der Dinge. Was kann ihn dann noch täuschen oder in Angst versetzen?“
Lasst uns beginnen, diese Sicht und diesen Respekt für die Höchste Seele und alle Lebewesen wieder immer mehr zum Leben zu erwecken. Nichts ist wichtiger und dringlicher für unsere moderne Welt.
In der Tat ist es angenehm und natürlich für uns, wenn wir uns anderen gegenüber respektvoll verhalten. Und die Wahrscheinlichkeit, selbst respektiert zu werden, nimmt dadurch letztlich zu. Jedoch sollte unser Respekt anderen gegenüber nicht davon abhängen, dass wir ebenfalls von ihnen respektiert werden. Das wäre Geschäftsdenken nach dem Motto: „Was bin ich bereit zu investieren, und was bekomme ich dafür als Gegenleistung?“ Nein, mein Respekt für andere sollte nicht auf Bedingungen beruhen oder mit der Erwartung verbunden sein, von anderen Menschen Respekt zu bekommen. Ich respektiere dich, weil ich dich als ein geliebtes Kind Gottes sehe und wertschätze. Und deswegen respektiere ich dich, ohne von dir zu erwarten, dass du mich respektierst. Diese Sicht und Haltung tatsächlich zu erlangen, ist kein leichtes Unterfangen, aber dennoch sollten wir uns darum bemühen.
Das ist der Sinn und die Bedeutung von Namaste.
NAMASTE – HARIBOL